Jürg Röthlisberger: «Ich lebe im Hier und Jetzt»
Der Schweizer Olympiaheld von 1980 geniesst heute glücklich und zufrieden seine Zeit in Málaga. Für Nachwuchs- und Spitzenjudoka hat Jürg – «Tschüge» – Röthlisberger dennoch ein paar Weisheiten zur Hand.
Seine olympischen Erfolge sind bis heute unvergessen. Jürg – unter Freunden und im Judo bekannt als Tschüge – Röthlisberger ist historisch und an den Erfolgen gemessen noch immer das Aushängeschild des Schweizer Judo. 1976 holte er sich überraschend Bronze in Montreal und vier Jahre später umso verdienter die Goldmedaille in Moskau.
Als Tschüge im Jahre 1965 bei den «Weissen Löwen Zürich» seine ersten Trainings besuchte, hatte er sich diesen Emporstieg noch nicht ausmalen können. Mit dem Vereinswechsel zum «Judo Club Nippon Zürich» nahm die leistungsorientierte Karriere ihren Lauf. Der junge Mann war seit jeher vom Sport begeistert und investierte leidenschaftlich jeden Tag seine Zeit, um sich im Judo weiterzuentwickeln.
Die Olympischen Erfolge waren für Tschüge Röthlisberger «sensationell und einmalig». Doch im Gespräch mit dem zufriedenen Judoka wird deutlich, dass er für die Gegenwart lebt und seine Zeit im sonnenreichen Málaga jeden Tag aufs Neue geniesst. Damals wie heute hat der Judoka genau das gemacht, was ihn mit Freude erfüllte. Eine wertvolle Lebensphilosophie, die zeigt, dass sich Zufriedenheit nicht an einzelnen Lebensereignissen misst, sondern ein Resultat aus täglichem Handeln und der Freude am Weg ist.
Interview
Tschüge, erzähle uns von deinem Leben in Málaga! Wie geht es dir?
«Es geht mir sehr gut hier in Málaga. Vor rund sieben Jahren hatte ich entschlossen, mich frühzeitig zu pensionieren und hierher zu ziehen. Eine Entscheidung, die ich noch keinen Tag bereut habe. Zusammen mit meiner Partnerin geniessen wir jeden Tag das schöne Wetter. Wir sind zufrieden und gesund.»
Vermisst du trotzdem die Schweiz manchmal?
«Nun, ganz ehrlich gesagt, eigentlich nicht. Vor allem wenn ich mit meiner Schwester telefoniere und sie mir vom nasskalten Wetter erzählt. Hier dürfen wir 25 Grad und Sonne erleben, also bin ich diesbezüglich ganz zufrieden. Zu Málaga hatte ich schon während meiner Athletenzeit eine gute Beziehung, weshalb es mich hierhin zog. Für mich ist es die schönste Stadt Europas, es fehlt einem an nichts. In der Nähe kann man sogar Ski fahren!»
Blick zurück: Warum hast du damals mit Judo begonnen?
«Eigentlich wollte ich als Kind Fussball spielen. Doch mein Vater schickte mich ins Judo, als er ein Inserat gelesen hatte. Judo hatte mit dem Olympiaerfolg von Eric Hänni für positive Schlagzeilen gesorgt, vorher kannte man den Sport in der Schweiz kaum. Mein Vater sagte mir also einfach ‘du gehst da jetzt hin’, obwohl ich gar keine Vorstellung von diesem Sport hatte. Aber es gefiel mir dann auf Anhieb.»
Trifft man dich noch heute auf den Tatami?
«Im Grunde ja. Ich habe mich hier in Málaga dem lokalen Verein angeschlossen und besuche in unregelmässigen Abständen die Trainings. In letzter Zeit natürlich weniger aufgrund der Corona-Pandemie.»
Welchen Bezug hast du sonst noch zur Judo-Welt?
«Die Freundschaften in der Zeit als Athlet waren mir immer sehr wichtig. Ich pflegte in den vergangenen Jahren deshalb viele Kontakte in der Schweiz, so zu Robert Sigrist oder René C. Jäggi. Aber auch international hielt ich Kontakt: Meinen damaligen Konkurrenten Detlef Ultsch besuchte ich in Berlin, Aleksander Yatskevich und Klaus Glahn waren bei mir in Málaga. Ausserdem gehe ich immer gerne zum Europacup, der hier jährlich stattfindet. Man trifft stets alte Bekannte.»
Vor gut 40 Jahren wurdest du Olympia-Sieger. Wie oft denkst du zurück?
«Eigentlich nie, ausser ich werde darauf angesprochen! (lacht) Nun, es ist ja so, ich lebe nicht der Vergangenheit, ich lebe im Hier und Jetzt. Es war ohne Zweifel eine sensationelle Zeit damals, aber das ist es heute ebenso. Es wäre für mich falsch, nur noch zurückzudenken und davon zu träumen. Natürlich haben sich die Erfolgsmomente für mich persönlich und emotional gelohnt, aber man muss immer das Ganze betrachten und nicht nur einen Sieg oder eine Medaille. Genauso wichtig sind der ganze Weg, die Erfahrungen und Freundschaften. Egal in welchem Lebensabschnitt man sich befindet, man muss es mit Freude und Überzeugung machen.»
Verfolgst du auch das aktuelle Wettkampfgeschehen?
«Ich bin dankbar, dass viele Clubs sehr aktiv und zeitnah Informationen streuen. So bekomme ich immer wieder die Resultate der Schweizer Judoka mit. Ab und zu schaue ich Judo im Fernsehen oder wenn es Live-Streams gibt.»
Ein Blick also Richtung Tokio 2021. Was traust du unseren Athleten zu?
«Oh, das ist dann doch sehr schwierig für mich zu beurteilen. Ich bin zu wenig tief drin, um das Leistungsniveau richtig einzuschätzen. Ich sehe, dass ein paar der Schweizer Judoka weit vorne im Ranking sind. Das stimmt natürlich zuversichtlich.»
Was kannst du jungen Sportlern oder Nachwuchs-Athletinnen auf den Weg geben?
«Ins Training zu gehen, auch wenn man mal keine Lust hat! Durchhänger gibt es für alle immer mal und es macht nicht jeden Tag gleichviel Spass. Man muss es langfristig aus Spass an der Sache machen und trotzdem Disziplin wahren.»
Und was gibst du abschliessend den Top-Athleten im Hinblick auf die kommenden Olympischen Spiele mit?
«Man muss sich so vorbereiten, dass man am Schluss sagen kann: 'Mehr geht nicht'. Das ist das Wichtigste, immer zu versuchen, das Bestmögliche aus sich herauszuholen. Mehr kann man nicht.»
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